Mind Control 8c+

Mind Control; Foto: William Barchelo

Als es um die Reiseplanung für einen Klettertrip im Februar ging, blieb ich bei der Internetrecherche bei einem Video hängen. Es war eine lange Route an bläulichen Sintern entlang in Oliana. Ab diesem Zeitpunkt wusste ich, wo ich unbedingt hin wollte!
Kurz darauf bemerkte ich den Schwierigkeitsgrad 8c+ dieser Route namens „Mind Control“ und das Funkeln in meinen Augen fand ein jähes Ende.
„…aber ich muss doch zumindest mal reinschauen!“, dachte ich mir.
Ein paar Wochen später gings dann mit Terry und meinem neuen VW-Bus los in Richtung Spanien. Nach Siurana, Terradets und den Mallos de Riglos kamen wir schließlich an unseren letzten Tagen noch nach Oliana, denn ich wollte ja nur mal probieren…

Mind Control; Foto: Teresa Gotzler

45 Meter überhängende Wand- und Sinterkletterei warteten nun auf mich. Zug um Zug boulderte ich die Route aus und kam tatsächlich nach 2 Stunden am oberen Ende der Felsen an und konnte alle Bewegungen auflösen. Vielen Dank an dieser Stelle an die geduldig sichernde Terry!
Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Mein Motto lautet nämlich: „Wenn ich alle Züge hinkriege, dann kann ich das auch durchsteigen.“ Die Züge an sich waren nicht soo superschwer für mich und auch die Griffe nicht so extrem klein, wie man sie im elften Grad erwarten würde. Doch einen Haken gab es – es waren 150 dieser Züge in der ganzen Tour…
Zwei Tage hatte ich noch, und ich versuchte die erste schwere Passage von einem guten Schüttler bis zu dem großen Loch in Wandmitte am Stück zu klettern. Das allein waren schon 25 Bewegungen ohne Pause in steilem Gelände. Zuerst kräftiges „Sintergeballer“ und anschließend weit voneinander entfernte Löcher und Leisten. Nur knapp verfehlte ich das große Loch im Durchstieg und es war leider an der Zeit wieder nach Hause zurückzukehren. Doch ich war mir sicher, dass wenn ich diesen Punkt erreichen würde, ich rasten und ein großes Stück weiter klettern könnte.

Natürlich lies mich die Route daheim nicht los und ich beschloss allein loszufahren, um das Ding zu klettern. Ich würde schon einen Partner finden, hoffte ich. Und tatsächlich, eine bessere Community hätte ich mir wirklich nicht vorstellen können.
Gleich am ersten Tag traf ich sie alle:
Eric, den temperamentvollen Italiener, der alle mit seinem „Andale, andale“ anfeuerte,
Will, den wohl gechilltesten („slowly slowly“) Franzosen und Profifotografen,
Vera, die immer strahlende und laut lachende Italienerin,
Fabio, den Physiotherapeuten aus Trieste und natürlich
Toni, den spanischen Fotografen und freundlichen Gastgeber aus Peramola.
Jeden Abend kochten wir zusammen und erklärten uns gegenseitig die Schlüsselstellen unserer Projekte mit Händen, Füßen und in sämtlichen Sprachen. Beispielsweise so: „La regletta a izquerda et the pocket a droit – not good! C’est un Ocho b mas – harrrd!”

😀 Es war echt eine superlustige Zeit zusammen!

Mind Control; Foto: William Barchelo

Aufgrund der Länge meiner Route, machte ich pro Tag nur einen Versuch, denn der Schatten kam erst spät nachmittags in die Wand. Schnell machte ich Fortschritte. So erreichte ich nun das Loch und kletterte weitere zehn Meter bis zur nächsten Schlüsselstelle ziemlich weit oben. Hier kommt ein weiter Kreuzer aus einer Untergrifftasche an einen Seitgriff. Wenn man diesen erreicht, geht einem total die Tür auf. Ich löste dieses Problem indem ich anschließend einen flachen Tufa links abstützte. Tatsächlich hatte ich im Durchstieg nun auch diese Stelle überwunden. Jetzt wird die Wand zwar immer flacher (immer noch überhängend) aber auch die letzten 15 Griffe immer schlechter und ohne Rastmöglichkeit. Ich war so gepumpt, dass ich kurz vor Schluss einfach nichts mehr festhalten konnte und ins Seil fiel. Eines wurde mir jetzt aber schlagartig bewusst! Ich habs definitiv drauf, muss aber vielleicht eine Exe auslassen, damit mir die Kraft oben raus reicht…
Die folgende Nacht schlief ich extrem schlecht. Immer wieder kreisten meine Gedanken um die letzten Meter. Ich stellte mir vor, wie ich diese Exe nicht clippe und mit dicken Unterarmen weiterklettere. Die Ellbogen gehen vor Anstrengung immer weiter nach oben und auch die nächste Exe kann ich nicht clippen. Ich kämpfe mich weiter von Griff zu Griff, unter den Füßen wehen die langen Schlingen an meinem Seil vorbei, nicht eingehängt. Den letzten Sicherungspunkt kann ich nichtmehr erkennen, bin jetzt hier am Umlenker, doch kann keine Hand mehr loslassen um mein Seil einzuhängen… Die Hand macht ungewollt auf und ich segle in die Tiefe und …wache auf!
Meine Hände nassgeschwitzt, der Puls rast – ich will das nicht! -oder doch?
Die nächsten Versuche klettere ich unter Druck und komme nicht mal mehr zum großen Loch.

Mind Control; Foto: William Barchelo

Nun wird mir klar, was „Mind Control“ eigentlich bedeutet.
An meinem letzten Tag ist es bewölkt und ich kann den ganzen Tag klettern. Ich möchte es unbedingt heute schaffen! Als ich wieder im Mittelteil scheitere öffne ich meine Wahrnehmung. Ich finde eine neue, leichtere Lösung für mich zum Loch und auch die Exe oben verlängere ich, damit ich nur eine auslassen muss. Zweimal komme ich noch zum Kreuzer ganz oben, aber dann ist auch die letzte Kraft verbraucht. Es geht nach Hause zum Arbeiten. Und auch in der Halle komme ich mir superschwach vor.
Doch ich weiß, dass meine Freunde noch eine weitere Woche in Oliana sein werden und ich bekomme noch ein paar Tage frei. Wieder mache ich mich auf die lange Reise und komme nachmittags am spanischen Felsen an. Ein freudiges Wiedersehen und zwei Aufwärmrouten später, stehe ich vor der Route, hänge mir die Verlängerungsexen an den Gurt und möchte mir die Tour für den nächsten Versuch optimal präparieren, da klettere ich „Mind Control“ 8c+ einfach durch.
Ohne lange Exen, ohne Exen auszulassen, ohne Angst – einfach so.

Mind Control; Foto: William Barchelo

Fiesta de los biceps

Mallos de Riglos; Foto: Steffen Hilger

Die gewaltigen Konglomerattürme der „Mallos de Riglos“ sind weltweit für ihr kühnes Erscheinungsbild bekannt. In den spanischen Ausläufern der Pyrenäen findet man hier viel Sonne und beeindruckende Felsformationen. Bis zu 300 Meter ragen die orangenen Felswände in den Himmel. Die Route „Fiesta de los Biceps“ sucht sich über 8 Seillängen den Weg durch den überhängendsten Teil auf den höchsten dieser Türme.

Hoch oben in den Überhängen

Mit Terry stand ich am Einstieg und sah schon von unten diese riesigen Steine aus der Wand ragen! In Wechselführung kletterten wir der weißen Chalkspur nach. Die dritte Seillänge war die schwerste (7a). Eine kleingriffige Verschneidung verlangt hier ein gutes Körpergefühl und ein präzises Anstehen der teilweise etwas rutschigen Kiesel. Danach beginnt der Fels immer steiler und steiler zu werden. Zwar nimmt der Schwierigkeitsgrad leicht ab, aber nichts destotrotz werden die Arme immer müder und die Züge immer anstrengender. In der 6b-Länge warten richtig gute Henkelsteine, doch auch die Hakenabstände werden weiter. Gleich mehrere, riesige Geier kreisten direkt über den Türmen. Diese kamen sogar so nah an uns heran, dass wir deren Windzug spürten. Ganz sicher war ich mir da nicht, was die von uns wollten…
Als ich zum nächsten Standplatz kam, tat sich unter meinen Füßen ein gewaltiger Abgrund auf! Einen so ausgesetzten Ort hatte ich zuvor noch nicht erlebt und mir wurde schlagartig klar, dass ein Abseilen hier nur sehr schwer möglich wäre. Der einzige Weg war also der, der durch diesen gigantischen Überhang über uns zum Gipfel führte!

Mit Bizeps am Gipfel 😉

Nun fühlte ich mich überhaupt nicht mehr wohl und wollte am liebsten schon wieder unten im Tal sitzen. Und Terry brauchte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie zu meinem Stand nachkam, obwohl sie eigentlich in ganz ordentlichem Tempo kletterte. Ich versuchte möglichst nicht nach unten zu sehen, wo die sandfarbenen Dächer des kleinen Dorfes gar so winzig aussahen. Erst als ich wieder selbst kletterte, den Fokus auf den nächsten Griff richten konnte und dem Ziel immer näher kam, fühlte ich mich wieder wohler. Und tatsächlich stiegen wir schließlich über die letzte Kante hinüber und kamen am Gipfel an. Nach einer guten Stunde in der Sonne folgten wir dem Weg nach unten in den Talboden und sahen zurück auf einen aufregenden Tag. 🙂

Siurana Good Times

Tolles Ambiente

Siurana

 

 

 

 

 

 

Zusammen mit meinen Freunden Eva und Martin gings im Februar nach Spanien. Unser Weg führte ins Klettermekka Siurana, wo sich im Winter immer die besten Kletterer der Welt treffen, um die kühlen Temperaturen für die schwersten Begehungen zu nutzen. So trafen wir dieses Jahr Daniel Woods, Dave Graham und Alizée Dufraisse. Ich persönlich fands meistens etwas zu kalt, vor allem wenn der Wind ums Eck pfiff und man nicht mal zum Klettern seine Daunenjacke ausziehen wollte. Aber bei windstillem Sonnenschein im Sektor „Salt de la Reina Mora“ war es einfach nur schön! Die langen Routen hier sind absolute Weltklasse! Auf dem Pflichtprogramm sollte sicher die 7c „Avatar“ mit ihren riesigen Henkellöchern und trickreichen Boulderzügen stehen. Aber auch direkt nebenan gibt’s herrliche Ausdauerrouten an Leisten in orange-rotem Fels.

Camarasa

Von der 8a „Homo Erectus“ möcht ich gern genauer erzählen. Der Mittelteil fordert immer wieder Boulderstellen durch die steile Wand, die zu mehreren guten Löchern führen. Dann kurz schütteln und das nächste Boulderproblem anpacken bis man nach 35 Metern ein gutes Henkelband erreicht. Jetzt gilt es, den ganzen Pump der Route loszuwerden, denn das Schwerste kommt noch! Ich kann mich ganz genau an diesen Moment erinnern! Die Arme sind schwer, aber ich merke, wie sie sich langsam erholen. Immer wieder tausche ich die Hände, um sie abwechselnd auszuschütteln. Links verschwindet gerade die rote Sonne hinter der gigantischen Felswand. Unter mir tut sich der weite Überhang auf, durch den ich gerade bis hierher geklettert bin. Wenn ich in die Ferne blicke, glitzert der Stausee von Siurana. Die untergehende Sonne taucht das Tal in orangenes Licht. Der frische Wind streicht um mein Gesicht und verweht meine Haare. Genau jetzt bin ich der letzte Punkt in der ganzen Wand, den das Licht noch erreicht und ich merke, jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um sich den letzten Schwierigkeiten zu stellen. Hier neigt sich der glatte Fels leicht zurück und weißt kaum mehr Strukturen zum Festhalten auf. Es folgt ein winziges Einfingerloch für links, in das nur die Fingerkuppe verschwindet. Das nächste Löchlein halte ich mit meinem rechten Daumen, damit ich nicht nach hinten wegkippe. Dann volle Spannung im Bauch um an diesen schlechten Griffen die Füße nachzustellen! „Gaaaanz lang machen uuuuund da ist die kleine Leiste! Gehst Du her!“, denke ich im Selbstgespräch. Puh, die Exe ist drinnen! Aber es geht weiter! Nun muss ich diese kleine Leiste auf Untergriff drehen und über die Exe steigen, um die letzten kleinen Käntchen und schließlich den Umlenker zu erreichen!
Was für ein Gefühl! Wenn dann die Spannung abfällt und ich richtig stolz bin, diese Route geschafft zu haben. Denn diese hat mich komplett gefordert! Das ist es, was das Klettern für mich ausmacht! 🙂

Democracia 8b

Nach 4 Tagen im schönen Siurana ging unsere kleine Reise weiter nach Terradets. Hier geben lange, überhängende Sintersäulen den Stil der Kletterei vor, nämlich pumpig an vielen Seitgriffen. Nachdem ich eine 8a+ im zweiten Versuch durchsteigen konnte, sah ich mir auch die Variante „Democracia“ 8b an. Unten war ganz klar „Ballern“ angesagt! Möglichst schnell musste man aus der steilen Höhle rauskommen und sich dynamisch von einem Sinterseitgriff zum nächsten kämpfen. Nach einem ausreichendem Ruhepunkt folgte dann die Schlüsselstelle mit einem Fingerloch für die rechte Hand – links eine gute Zange, um die Füße nachzustellen und weit hoch zu kreuzen auf eine schlechte Sinterzange. Aus dieser Position stellte ich den linken Fuß hoch und lehnte meinen Körper ganz nach rechts, um den Sinter irgendwie halten zu können! Rechten Fuß nachholen und vorsichtig die rechte Hand hoch zum Tufa, bevor ich endlich mit der Linken den Tufa an einer besseren Stelle erreichen konnte.
Diese Sequenz schaffte ich zweimal und fiel dann tatsächlich kurz vorm Umlenker mit dicken Unterarmen ins Seil.

Embassament de Terradets

Heute war der letzte Tag und ich wusste, ich hatte nur noch einen letzten Versuch, ehe wir zum Flughafen nach Barcelona zurückfahren mussten. Diese blöde  Stelle ganz oben bot zwei passable Möglichkeiten. Entweder eine flache Leiste weit durchziehen oder anstrengend einen kleinen Untergriff anlaufen. Zweimal fehlte mir der Schmalz für die Leiste, nun hatte ich nur noch diesen einen Versuch…
Ich kletterte durch den pumpigen unteren Teil und kam in die Crux, als mir kurz vor dem besseren Sintergriff der Fuß wegrutschte. „Baaahhh!!!“ Ein kurzer Schrei kam plötzlich aus mir heraus. Doch ich konnte mich gerade noch in der Wand halten! Puuuhhh, das war knapp. Schließlich war ich auch schon in der Headwall und sah die beiden Möglichkeiten vor mir. Ehe ich genauer Nachdenken konnte, stellte mein Körper automatisch den rechten Fuß raus, ich sortierte zwei Finger in den Untergriff ein und zog hoch. Topgriff erreicht und 8b abgehakt!
Im Laufschritt gings dann zum Auto und in Richtung Barcelona zum Flieger nach Hause… So muss es gehen! 🙂

Europareise

Gletscher über der Göschener Alp

Gletscher über der Göschener Alp; Foto Julia Kressirer

2 Monate hatte ich Zeit, um mit meiner Freundin die schönsten Klettergebiete Europas zu erkunden. Es gibt so viel zu erzählen, dass es hier sicherlich den Rahmen sprengen würde. Ich beschränke mich also auf die eindrucksvollsten Erlebnisse dieser Reise.

Anfangen möchte ich in der

Sonnenaufgang am Meer

Sonnenaufgang am Meer; Foto Julia Kressirer

Schweiz, wo wir einen schönen Klettertag an einem Stausee mit Blick auf einen riesigen Gletscher ausklingen ließen. Einfach mal die Ruhe genießen und den Bleistift über den Skizzenblock schweifen lassen… das ist Urlaub.

In Italien nördlich des Comer Sees gibt es schwarzen Granit über der Zoia-Hütte. Das sieht richtig cool aus und man kann

Julia im Sonnenaufgang

Julia im Sonnenaufgang; Foto Steffen Hilger

sogar noch an den kleinsten Leisten daran klettern. Genial! Kurz bevor es zu schütten begann, konnte ich hier die Route „Goodbye Vibration“ 8b+ durchsteigen. Was für ein Glück. 🙂

In Frankreich ließen wir natürlich die bekannten Gebiete St. Léger, Céüse und Buoux nicht links liegen. Irgendwann brauchten wir dann aber doch einen Pausetag.

Chulilla

Chulilla

„Na gut, dann sehen wir uns eben jetzt Marseille und die Calanques an“, meinte ich. Doch dieser Tag war noch viel anstrengender als all die Klettertage zuvor. 😀 Das lange Laufen in der Stadt bei heißem Wetter macht nämlich richtig platt…

Sehr gerne erinnere ich mich an die Gorge du Tarn zurück. Hier fand ich wahre Traumtouren. 70

Flamingo in Frankreich

Flamingo in Frankreich; Foto Julia Kressirer

Meter lang kletterte ich an bestem Fels immer weiter. Im oberen 7. Franzosengrad war das dann ein richtiges Erlebnis, das ich nicht so schnell vergessen werde. Der Sicherer ist soo klein unten am Wandfuß – Nervenkitzel pur!

Und schließlich kamen wir nach Spanien. Neben Barcelona gings nach Oliana, Siurana, Margalef, Santa Linya und Terradets. Alles

Gorge du Tarn

50 Meter; Gorge du Tarn

Gebiete, die mein Kletterherz höher schlagen ließen. Lange Ausdauerrouten an unglaublichen Sinterlinien. Das sind die Routen, die ich gesucht habe!

Zu guter Letzt besuchten wir noch Chulilla. Das ist ein Canyon mit roten Felswänden, die genug Klettereien für ein ganzes Leben bieten. Einfach herrlich!

Fleißig war ich allemal, denn in diesen zwei Monaten durchstieg ich 45 Routen zwischen 8a und 8b+. Doch was diese Reise so besonders machte, waren die wunderschönen Sonnenaufgänge und dass wir all die Zeit zu zweit verbringen konnten… 🙂